Generative KI: Warum der ganze Hype?

Generative künstliche Intelligenz verändert gerade ganze Branchen, einschliesslich der Finanzbranche. Luca Menozzi, Thematischer Research-Analyst bei Julius Bär, untersucht ihre Auswirkungen, das enorme Potenzial, das sie mit sich bringt, und wie externe Vermögensverwalter diesen Trend nutzen können.

 

Von Luca Menozzi
Director, Thematic Research, Bank Julius Bär & Co. AG                              

 

Generative künstliche Intelligenz (generative KI) hat in den letzten Monaten viel Begeisterung hervorgerufen. Der Sektor hat sich rasant weiterentwickelt und immer mehr Unternehmen suchen gezielt nach Möglichkeiten, die Technologie in ihre Angebote zu integrieren. Die Anleger haben das enorme Monetisierungspotenzial der generativen KI schnell erkannt und auf der Suche nach dem nächsten Milliardengeschäft bereits erhebliche Summen investiert.

 

Auf lange Sicht

Die langfristigen Chancen sind aus unserer Sicht klar zu erkennen. Die KI birgt das Potenzial, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen und das weltweite BIP-Wachstum anzukurbeln. Aber auch aus Unternehmensperspektive ergeben sich zahlreiche potenzielle Vorteile. Vielen Unternehmen könnte KI den nächsten Wachstumsschub bringen. So können Unternehmen ihre Ertragsbasis erhöhen, indem sie entweder neue KI-gestützte Tools anbieten, für die einen höheren Verkaufspreis verlangen können, oder indem sie neue Produkte entwickeln und ihren adressierbaren Markt ausweiten. Zudem lassen sich mithilfe von KI Funktionen automatisieren, Kosten senken und dadurch die Margen erhöhen. Darüber hinaus können Unternehmen, die KI nutzen, möglicherweise bessere Erkenntnisse über ihre Anlagemöglichkeiten gewinnen und auf diese Weise bessere Allokationsentscheide treffen und höhere Renditen sowie nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielen.

 

Die drei hauptsächlichen Nutzniesser

Innerhalb der KI-Landschaft erkennen wir drei hauptsächliche Nutzniesser: Halbleiterhersteller, Cloudcomputing-Anbieter sowie Wegbereiter und Anwender von KI, bei denen es sich in erster Linie um Softwareunternehmen handelt. Der Halbleitersektor bietet direkt die Chance einer schnellen Monetisierung, da für den Aufbau der KI-Infrastruktur hochmoderne Chips benötigt werden. Allerdings gibt es in diesem Bereich vielversprechende und weniger überzeugende Anlagegelegenheiten. Anbieter von Clouddiensten werden ihre Investitionen in KI aufstocken müssen, was ihre kurzfristige Rentabilität zum Zwecke eines zukünftigen höheren Wachstums beeinträchtigen könnte. Softwareunternehmen hingegen werden noch abwarten müssen, bis die Unternehmen ihre Produkte in vollem Umfang integrieren.

Die KI-Transformation wird nicht von einem Tag auf den anderen erfolgen. Vielmehr wird es sich um einen Prozess mit mehreren Phasen handeln. Wir raten Anlegern, übersteigerte Erwartungen und Überkapazitäten in der Infrastruktur im Auge zu behalten, da sie Marktturbulenzen und Börsenkorrekturen zur Folge haben könnten. Bisher haben wir allerdings noch keine Warnsignale wahrgenommen und beurteilen das KI-Thema weiterhin optimistisch.

Die zuletzt starke Marktperformance beruhte auf Verbesserungen der Fundamentaldaten und einer Neubewertung nach den Bewertungskennzahlen. Absolut gesehen mögen die Bewertungskennzahlen zwar hoch erscheinen, dennoch sind sie durchaus gerechtfertigt, wenn man die Qualität der Geschäftsmodelle und das grenzenlose Potenzial der generativen KI berücksichtigt.  Die Grundlage für ein erhebliches Wachstum in der Zukunft ist geschaffen. Allerdings empfehlen wir Anlegern, zwischen echten KI-Innovatoren und jenen Unternehmen zu unterscheiden, die sich möglicherweise zu früh auf dieses Gebiet vorgewagt haben, ohne überzeugende oder innovative Produkte zu liefern.

 

Anwendungsfälle für die KI

Die Bandbreite der KI-Anwendungsfälle wächst nach wie vor in atemberaubendem Tempo. Dennoch sind wir überzeugt, dass wir noch ganz am Anfang dessen stehen, was KI in Zukunft leisten kann. Bisher konnten wir eine rasante Zunahme von Chatbots und KI-Assistenten beobachten, die in ganz unterschiedliche Produkte und Branchen integriert wurden. Künftig dürften Maschinen dank KI in der Lage sein, Video- und Audioerkennung mit Sprachmodellen und anderen Sinneswahrnehmungen zu verschmelzen und so ihre Genauigkeit und ihre Funktionen in Bereichen wie autonomes Fahren und Robotik zu verbessern. Wir gehen von einer wachsenden Zahl von Anwendungsfällen in unterschiedlichen Sektoren aus und rechnen deshalb mit einer Innovationswelle in den kommenden Jahren.

 

Die Risiken der KI

Die öffentliche Stimmung und die behördliche Aufsicht könnten die Entwicklung und den Einsatz der generativen KI bremsen. Man denke an Szenarien, in denen die KI nicht die erwarteten Ergebnisse liefert oder böswillig eingesetzt wird, zum Beispiel für Cyberattacken. Solche Szenarien könnten unser Vertrauen in die KI erschüttern und die Marktdurchdringung dieser Technologie in unseren Volkswirtschaften hemmen. Regulierung betrachten wir grundsätzlich als zweischneidiges Schwert; sie kann sich negativ, aber auch positiv auf die Entwicklung der generativen KI auswirken. Wir befürworten Regulierung, wenn sie die Technologie sicherer macht und Anreize für ihre Nutzung bietet.

 

Die Rolle der generativen KI In der Vermögensverwaltung

Angesichts des anhaltenden Aufschwungs der KI in allen Bereichen bleiben wir bei unserer positiven Prognose für das Thema. Gestützt wird dies durch unsere Überzeugung, dass die Faktoren hinter dem Wachstum der KI weiterhin robust sind, da sich die Innovation beschleunigt, Monetisierungsmöglichkeiten vorhanden sind und die Gewinnerwartungen sich seit Beginn des Jahres nach oben entwickeln.

Fazit: Die Begeisterung für die generative KI ist begründet und wir gehen davon aus, dass die KI auch weiterhin zahlreiche Branchen umgestalten und Innovation fördern wird. Vermögensverwalter können die Macht der generativen KI nutzen, um ihre Anlagestrategien und die Betreuung ihrer Kunden zu verbessern. Dennoch wird der Weg, der vor uns liegt, nicht ohne Herausforderungen sein, denn auch die öffentliche Wahrnehmung und aufsichtsrechtliche Gesichtspunkte werden eine Rolle spielen. Doch trotz dieser potenziellen Hindernisse dürfte der KI-Landschaft anhaltendes Wachstum und Fortschritt bevorstehen, mit überzeugenden Möglichkeiten für Anleger und Stakeholder.

 

 

Biografie

Luca Menozzi ist Director bei Julius Bär, einer Privatbank mit Hauptsitz in Zürich. Als Thematischer Research-Analyst ist er für das Thema Digital Disruption verantwortlich. Dabei konzentriert er sich auf die Auswirkungen technologischer Innovation auf die Weltwirtschaft und beschäftigt sich insbesondere mit Cloudcomputing, KI, digitalem Handel, Cybersicherheit sowie Automatisierung und Robotik. Bevor er zu Julius Bär nach Zürich kam, war er in London als Aktienanalyst im Multi-Asset-Team von Ninety One Asset Management und als Investmentanalyst für verschiedene Anlageklassen und Sektoren für Bank of Montreal Asset.