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Interview

Am 18. November 2022 eröffnete Angela de Wolff den VSV-Jahreskongress mit einem Vortrag über «Nachhaltige Finanzwirtschaft ohne Tabu». Bei diesem Titel konnte man einen offenen Dialog mit den Vermögensverwaltungsprofis erwarten. Und der Titel hielt, was er versprach: Der Austausch mit den Zuhörern war ebenso rege wie intensiv.

In einem Interview mit Angela de Wolff greift der VSV diese ersten Reaktionen auf.

 

Angela de Wolff
Founding Partner, Conser                                                

 

Angela de Wolff, Sie sind eine Pionierin des ESG-Investments. Welche Ereignisse in Ihrem beruflichen Werdegang waren dabei besonders wichtig für Sie?

Meine erste Begegnung mit der nachhaltigen Finanzwirtschaft im Jahr 2000 in einem eher traditionellen Finanzuniversum und die Überzeugung, dass die Zukunft der Finanzwirtschaft in diesem Ansatz liegt;

Das Jahr 2007, die Gründung der Firma Conser, welche Investoren auf dem Weg zu ESG betreuen und unabhängig begleiten soll;

Das Jahr 2015, als die Schweiz sich zu einer nachhaltigen Wirtschaft bekannte und die Finanzwirtschaft aufforderte, Verantwortung zu übernehmen – ein Wendepunkt für unsere Branche;

Und schliesslich im Jahr 2020 die Fokussierung der Geschäftstätigkeit auf die unabhängige ESG-Prüfung, mit der wir den Anlegern Transparenz, Neutralität und Verständlichkeit bieten wollen.

 

Die Fachleute unserer Branche stehen einem riesigen Angebot an nachhaltigen Lösungen gegenüber, deren Qualität und Glaubwürdigkeit noch immer schwer zu bewerten sind. Viele Vermögensverwalter sehen darin eine echte Herausforderung. Was ist Ihre Meinung?

Das ist wirklich eine echte Herausforderung! Allein in den Jahren 2020 und 2021 wurden in der Schweiz fast 400 neue nachhaltige Fonds oder Fonds mit ESG-Siegel zum Verkauf angeboten. Manche davon waren tatsächlich neu, andere das Ergebnis eines „Re-Packaging“, mit dem man diesem starken Trend Rechnung tragen wollte.

Es gibt viele verschiedene Bezeichnungen: von ESG über Impact bis hin zu Responsibility und Sustainability. Wie soll man sich da zurechtfinden?

All diese Begriffe sind eine Frage der Interpretation durch den Asset Manager. Für die Anleger ist das verwirrend. 80% unserer Mitglieder gaben bei einer Befragung während des Vortrags an, es falle ihnen schwer, die Spreu (Greenwashing) vom Weizen (ESG) zu trennen.

Die Regulierungsbehörde hat das sehr wohl erkannt – in diesem Punkt müssen wir wachsam sein und sowohl den Endkunden als auch seinen Wealth Manager unterstützen. Die Verwendung der Nachhaltigkeitsbegriffe oder der Bezeichnung «ESG» muss mit einem seriösen und wirksamen Auswahlprozess einhergehen. Und auch die Zusammensetzung des Fonds muss mit der Deklaration übereinstimmen.

 

In diesem Zusammenhang ist ein gewisses Misstrauen gegenüber der nachhaltigen Finanzwirtschaft und ihrer tatsächlichen Auswirkungen auf eine mögliche Transformation der Wirtschaft festzustellen. Innerhalb unseres Berufsstandes sind die Meinungen geteilt. Wie erklärt sich Ihres Erachtens diese «Ambivalenz»?

Was die Vermögensverwalter am meisten fürchten, ist die mangelnde Beherrschbarkeit dieses Themas. Was, wenn sie einen „grünen“ Fonds wählen, der Titel enthält, die den Kundenerwartungen nicht entsprechen? Was, wenn sie dann mit einem potenziell unzufriedenen Kunden konfrontiert sind, und zwar sowohl in Bezug auf ESG, als auch auf die Performance? Der Ruf nach Transparenz wird laut. In dieser Hinsicht gehen alle Initiativen, welche die Klarheit und Vergleichbarkeit von ESG-Daten sowie die Definition der Unternehmens-taxonomie verbessern, in die richtige Richtung. Auch wenn das alles Zeit braucht und als zusätzlicher Compliance-Aufwand empfunden werden kann: es ist ein Gebot der Notwendigkeit.

In diesem Sinne ist die Umsetzung der europäischen Regelung (Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)) zu begrüssen. Die Asset Manager verfügen damit über einen ersten Anhaltspunkt, auch wenn es bei ESG oder dem Engagement gegenüber fossilen Brennstoffen noch erhebliche Qualitätsunterschiede zwischen den Fonds gibt, die sich selbst nach Artikel 8 oder 9 deklarieren (Anmerkung der Redaktion: Produkte mit «ökologischen oder sozialen Merkmalen oder einer Kombination dieser Merkmale»).

 

Die Performance ist der Kern der Vermögensverwaltung und steht bei den Kunden an erster Stelle. Der ESG-Aspekt spielt dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Glauben Sie, dass sich das mittelfristig ändern könnte, und wenn ja, wie?

Derzeit sind die Fachleute des Finanzsektors - etwas restriktiv - der Ansicht, es sei ihre treuhänderische Pflicht, die Kunden entsprechend ihren finanziellen Anforderungen zu betreuen, und nicht, die Probleme unseres Planeten zu lösen, es sei denn, der Kunde wünscht dies ausdrücklich.

Die meisten Vermögensverwalter, die über eine langjährige Klientel verfügen, konzentrieren sich auf die Kundenpflege und die traditionelle Betreuung. Der Einführung einer neuen Dimension der Vermögensverwaltung stehen sie eher zurückhaltend gegenüber.

In Zusammenhang mit dem Generationswechsel sind jedoch veränderte Kundenerwartungen zu beobachten. Wer bereits jetzt Nachhaltigkeitsthemen in die Gespräche einbezieht, lernt seine Kunden und deren Wünsche besser kennen und kann sie an sich binden.

 

Der Bundesrat hat Mitte Dezember 2022 den Bericht über die Nachhaltigkeit des Schweizer Finanzplatzes verabschiedet und sich zur Schaffung eines regulatorischen Rahmens verpflichtet. Dies könnte für die Branche weiteren Compliance-Aufwand und unnötige Zusatzkosten bedeuten. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Bereits in den 2000er Jahren haben einige Vorreiter unter den Vermögensverwaltern - etwa 25% - Nachhaltigkeit als Unterscheidungsmerkmal verwendet und die erforderlichen Mittel eingesetzt. Die Mehrheit fühlte sich durch das Fehlen einer behördlichen Verpflichtung sowie eine noch wenig explizite Kundennachfrage veranlasst, erst einmal abzuwarten. Diese Wealth Manager beobachten derzeit, wie stark sich die Regulierung verschärft, bevor sie in die notwendigen Ressourcen investieren.

Heute, unter dem doppelten Druck durch die sich verändernde Kundschaft und die strengeren Vorschriften, ist für unsere Branche der Zeitpunkt für einen ernsthaften und pragmatischen Ansatz gekommen. Vermögensverwalter haben heute die Möglichkeit, mit einfachen Analyseinstrumenten und ohne grosse Investitionen, nachhaltige Anlagelösungen von erwiesener Qualität anzubieten.

Nachhaltiges Asset Management, ESG und Impact: Das ist die Evolution der aktiven Vermögensverwaltung, d.h. eine überzeugungsorientierte Finanzbranche, die auf die Zukunft und die Gewinner von morgen ausgerichtet ist. Eine echte Chance für Vermögensverwalter, die sich in einem stark umkämpften Universum von Wettbewerbern abheben wollen.

 

Und zum Schluss: Welche Massnahmen empfehlen Sie, um die Finanzbranche bestmöglich in Richtung ESG-Lösungen zu begleiten?

Derzeit bezeichnen sich mehr als die Hälfte der in der Schweiz vertriebenen Fonds als «ESG» oder «nachhaltig». Wenn man Tausende von Fonds professionell und systematisch analysieren will, kommt man nicht um den Einsatz spezifischer Instrumente und Kompetenzen herum. Ich würde den Vermögensverwaltern raten, sich bei diesem Prozess helfen zu lassen.

Vermögensverwalter, die sicherstellen wollen, dass ihre Anlagen den Bedürfnissen ihrer Kunden entsprechen und die regulatorischen Anforderungen erfüllen, können dabei schrittweise vorgehen. Sie können zudem die Kohärenz der wichtigsten Positionen überprüfen, das Transparenzniveau und die Qualität der Berichterstattung bewerten und eventuell eine unabhängige Prüfung in Anspruch nehmen.

Wenn man sich eine nachhaltige und/oder wirkungsorientierte Positionierung zum Ziel gesetzt hat, lohnt es sich dann auch, in die Ausbildung von Schlüsselpersonen zu investieren und ein ESG-Monitoring-Tool anzuschaffen, das detaillierte und im Zeitverlauf vergleichbare Analysen liefert.

 

Ihre Reaktionen und Kommentare an: angela.dewolff@conser.ch

 

 

Biografie

Angela de Wolff verfügt über fast 30 Jahre Erfahrung in der Finanzbranche, davon 20 Jahre im Bereich nachhaltige Finanzen. Sie war Vorsitzende von schweizerischen und regionalen Plattformen in diesem Sektor und ist aktuell Mitglied des Verwaltungsrats des eidgenossenschaftlichen Investitionsfonds Swiss Investment Fund for Emerging Markets (SIFEM). Sie hat die Firma Conser gegründet, eine unabhängige ESG-Beratungs- und Prüfungsgesellschaft, die ausschliesslich auf dem Gebiet des nachhaltigen Investierens tätig ist.

 

Aus dem Französischen übersetzt