FIDLEG und Verhaltensregeln: Ist alles klar?

Das FIDLEG (Bundesgesetz über die Finanzdienstleistungen), das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, entfaltet seit dem 1. Januar 2022 seine volle rechtliche Wirkung. Es legt Verhaltensregeln für die Finanzdienstleistungsbranche fest.

Die ersten aufsichtsrechtlichen Prüfungen haben gezeigt, dass die Grundsätze im Allgemeinen gut umgesetzt werden. Allerdings gibt es noch Grauzonen, und die Institute wenden die vorgeschriebenen Anforderungen nicht immer einheitlich und korrekt an.

Der vorliegende Artikel behandelt regelmässig auftretende Probleme und die am häufigsten gestellten Fragen.

 

Von Ilaria Santini 
Partnerin, Leiterin Asset Management Westschweiz, BDO                            

 

1. Kundensegmentierung

Welche Verhaltensregeln gelten, hängt von der Kundensegmentierung ab. Laut dem Gesetz müssen die Vermögensverwalter ihre Kundinnen und Kunden in Privatkunden, professionelle Kunden und institutionelle Kunden einteilen. Bei Privatkunden sind sämtliche Verhaltensregeln anzuwenden; für institutionelle Kunden gelten diese Regeln jedoch nicht. Professionelle Kunden wiederum können gegenüber ihren Vermögensverwaltern auf die Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln verzichten.

Die Vermögensverwalter müssen jedoch jene Kunden, die keine Privatkunden sind, vor der Erbringung von Dienstleistungen über die Möglichkeit des Opting-in informieren.

Was sind die häufigsten Fehler hierbei? 

  • In manchen Fällen stimmt die Dokumentation in den KYC-Unterlagen nicht mit der tatsächlichen Kundensegmentierung überein, insbesondere in Bezug auf die Höhe des Finanzvermögens, das bei der Anwendung der Opting-out-Regelungen berücksichtigt wird.
  • Insgesamt lässt sich feststellen, dass institutionelle und professionelle Kunden nicht ausreichend über die Möglichkeit des Opting-in informiert werden und dass in einigen Fällen die Dokumentation der Opting-out-Regelung fehlt, die vom Vermögensverwalter standardmässig angewendet wird.
  • Eine objektive Schwierigkeit bei der Segmentierung juristischer Personen ergibt sich durch das Konzept der «professionellen Tresorerie». Ein Unternehmen oder eine private Anlagestruktur verfügt dann über eine professionelle Tresorerie, wenn das Unternehmen oder die privaten Anlagestruktur auf Dauer eine fachlich ausgewiesene, im Finanzbereich erfahrene Person mit der Bewirtschaftung der Finanzmittel beauftragt.

Können die Kenntnisse der Kontobevollmächtigten bei der Prüfung des Opting-out des Kunden berücksichtigt werden?

Ja, ein Kunde, der durch eine bevollmächtigte Person handelt, kann mit dem Vermögensverwalter in schriftlicher Form vereinbaren, dass bei der Segmentierung (Art. 4 Abs. 2. FIDLEV) und bei der Angemessenheits- und Eignungsprüfung (Art. 16 FIDLEV) die Kenntnisse und Erfahrungen des Bevollmächtigten berücksichtigt werden sollen. Es ist im entsprechenden Vertrag klar anzugeben, wer als Bevollmächtigter ernannt wird und dass der Inhaber damit einverstanden ist, dass die Erfahrung des Bevollmächtigten berücksichtigt wird. Darüber hinaus ist diesem eine Kontovollmacht zu erteilen.

Welche FIDLEG-Dokumente muss eine Lebensversicherungsgesellschaft einreichen, die ein Opting-in gemacht hat, um professioneller Kunde zu werden?

Die Lebensversicherungsgesellschaft muss lediglich das Opting-in-Formular unterzeichnen. Anschliessend müssen die Verhaltensregeln, die für professionelle Kunden gelten, bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen beachtet werden.

Wie wird eine ausländische Lebensversicherungsgesellschaft segmentiert?

Es handelt sich um einen institutionellen Kunden, sofern die Gesellschaft kein Opting-in unterzeichnet hat und in ihrem Land einer Aufsicht untersteht, die der FINMA gleichwertig ist.

 

2. Angemessenheits- und Eignungsprüfung

Im Rahmen der Vermögensverwaltung und umfassenden Beratung ist eine Eignungsprüfung erforderlich: Dies bedeutet, dass die Anlagestrategie auf das Risikoprofil (das die Kenntnisse und Erfahrungen, die finanzielle Situation und die Anlageziele des Kunden berücksichtigt) abgestimmt werden muss. Dabei müssen die Anlagen im Portfolio der vereinbarten Strategie entsprechen.

Im Rahmen der Anlageberatung für bestimmte Transaktionen ist eine Überprüfung der Angemessenheit der Beratung erforderlich: Dies bedeutet, dass die Beratung auf die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden zugeschnitten sein muss. 

Was sind hierbei die häufigsten Fehler?

  • Nicht selten fehlt eine Übereinstimmung zwischen dem Risikoprofil und der vom Kunden gewählten (risikoreicheren) Anlagestrategie: Ohne ausdrückliche Bestätigung des Kunden, dass der Vermögensverwalter ihn über die Risiken informiert hat und ihm von einer Strategie abgeraten hat, die nicht mit seinem Risikoprofil übereinstimmt, liegt hier ein Verstoss vor.
  • Bei punktuellen Beratungen lässt sich häufig eine unzureichende Überprüfung der Angemessenheit von Empfehlungen für bestimmte Transaktionen feststellen.

Wie oft sollte das Risikoprofil überprüft werden?

Regelmässig, am besten alle drei Jahre. Bei einer bekannt gewordenen Änderung muss eine Überprüfung sofort erfolgen.

Wie lassen sich die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden im Rahmen der Vermögensverwaltung oder einer umfassenden Beratung einstufen?

Die Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden beziehen sich auf die Vermögensverwaltung bzw. Anlageberatung als Finanzdienstleistung und nicht auf jede einzelne Transaktion, die im Rahmen des Mandats ausgeführt oder empfohlen wird.

 

3. Informationspflicht, Dokumentation und Rechenschaft

Finanzintermediäre müssen ihre Kunden über ihre Tätigkeiten, die angebotenen Dienstleistungen und die verwendeten Finanzinstrumente informieren. Die Informationspflicht kann durch ein gedrucktes oder elektronisch übermitteltes Informationsblatt vor Abschluss des Vertrages erfüllt werden.

Der Vermögensverwalter muss die vereinbarten Finanzdienstleistungen und die erhobenen Informationen dokumentieren.

Wenn sich die persönliche Empfehlung auf Finanzinstrumente bezieht, stellen die Finanzdienstleister ihren Privatkunden zusätzlich das Basisinformationsblatt (BIB) zur Verfügung.

Was sind hierbei die häufigsten Fehler? 

  • Das Informationsblatt wird nicht immer vor Vertragsabschluss ausgehändigt.
  • Überdies fehlt manchmal der Nachweis über die Bereitstellung des Informationsblatts und/oder des entsprechenden Prospekts.
  • Im Rahmen der Beratung für private oder institutionelle Kunden, die nicht auf die Anwendung bestimmter Verhaltensregeln verzichtet haben, werden die Gründe für die Empfehlung häufig nicht dokumentiert (es muss für jede Empfehlung eine Begründung angegeben werden).
  • Häufig unterbleibt die Dokumentation von Ausnahmen.

Was versteht man unter einem Waiver?

Ein Waiver ist eine unterzeichnete schriftliche Erklärung, durch die professionelle Kunden auf die Anwendung der Informations-, Dokumentations- und Rechenschaftspflicht verzichten: Wenn der Waiver nicht unterschrieben ist, gelten die Verhaltensregeln des FIDLEG auch für professionelle Kunden. Dieser Waiver kann in das Opting-out-Formular aufgenommen werden.

 

Fazit

Die ersten Prüfungen haben ergeben, dass die Vermögensverwalter erhebliche Anstrengungen zur Einhaltung aller Vorschriften unternommen haben. Allerdings sind noch nicht alle offenen Fragen geklärt und alle Best Practices umgesetzt.

 

 

Biografie

Ilaria Santini, Partnerin, ist Leiterin Asset Management bei BDO in Genf. Zuvor war sie 10 Jahre lang bei PwC in Mailand, Luxemburg und Genf tätig. Zudem war sie bei Lombard & Odier und Deloitte tätig. Sie ist diplomierte Wirtschaftsprüferin, verfügt über ein CAS in Compliance und ist von der FINMA als leitende KAG-Revisorin anerkannt.

Contact: ilaria.santini@bdo.ch