Sustainable Finance | ESG : die Selbstregulierung gibt die Richtung vor

Im Gegensatz zu Europa gibt es in der Schweiz noch keine umfassenden rechtlichen ESG-Bestimmungen für den Finanzmarkt. Intensive Gespräche sind im Gange, aber ein konkreter Vorschlag wurde bis heute nicht formuliert. Einige Branchenverbände haben dem jedoch vorgegriffen und Richtlinien zu diesem Thema erstellt.

 

Von Boris Hofer
Director, Regulatory & Compliance Financial Services,
Grant Thornton AG                                                                         
Und Valentine Resta
Senior Consultant, Regulatory & Compliance Financial Services,
Grant Thornton AG

 

Regulatorisches Umfeld 

Anders als beispielsweise in Europa besteht auf Gesetzesebene in der Schweiz bisher keines, auf den Finanzmarkt zugeschnittenes ESG-Regelwerk. Anpassungen des Finanzmarktrechtes werden zwar intensiv diskutiert, es sind aber noch keine konkreten Vorschläge kommuniziert worden. Einer gesetzlichen Regelung am nächsten kommend und im Prinzip für sämtliche Finanzinstitute relevant, ist die FINMA-Aufsichtsmitteilung 05/2021, welche Grundsätze zur Bekämpfung von Greenwashing enthält.  

Anders stellt sich die Situation bei der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) und der Asset Management Association Switzerland («AMAS») dar, welche beide Vorschriften zu Sustainable Finance /ESG erlassen haben, die ihre Mitglieder zukünftig zur Einhaltung spezifischer Vorschriften verpflichten werden. Zusammengefasst enthalten die «Richtlinien für die Finanzdienstleister zum Einbezug von ESG-Präferenzen und ESG-Risiken bei der Anlageberatung und Vermögensverwaltung» der SBVg sowie die «Selbstregulierung zu Transparenz und Offenlegung bei Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug» der AMAS die wesentlichen Prinzipien, die es einem Institut erlauben, «Sustainable Finance/ESG-ready» zu sein.  

 

Was bedeutet dies konkret für Vermögensverwalter?  

Betrachtet man die beiden Regelwerke sodann genauer, so können diese als Vorlage für ein Sustainable Finance/ESG Rahmenwerk eines Finanzinstituts dienen und bieten somit entsprechende Chancen.  

Um besser zu verstehen, inwiefern sich die Regulierungen als Vorlage eignen, ist ein Verständnis für die konkrete Umsetzung von Sustainable Finance/ESG in einem Unternehmen notwendig.  

Institute, welche bei ihrer Geschäftstätigkeit «Sustainable Finance/ESG» berücksichtigen, können auf drei Ebenen gefordert sein: auf Unternehmensebene, Produktebene oder am «Point of Sale».  Auf Unternehmensebene sind unter anderem strategische Entscheide zu treffen, die Governance ist zu überprüfen und eine Berichterstattung ist einzurichten. Auf Produktebene sind z.B. Investitionsansätze zu prüfen, um das gewollte Mass and «ESG» pro Produkt festzulegen. Am «Point of Sale» sind schliesslich die ESG-Präferenzen von Kunden zu erfassen und bei der Dienstleistungserbringung zu berücksichtigen. Wo ein Institut mehrere oder sämtliche Ebenen abdeckt, ist insbesondere das Zusammenspiel und die Interdependenzen der drei Ebenen herausfordernd, die Ebenen dürfen keinesfalls isoliert betrachtet werden. 

Die Selbstregulierung der AMAS deckt die Unternehmensebene und Produktebene ab. Sie ähnelt damit inhaltlich der FINMA Aufsichtsmitteilung 05/2021, welche ebenfalls diese beiden Ebenen behandelt. Die Selbstregulierung der SBVg deckt den «Point of Sale» ab und verpflichtet die angeschlossenen Institute und solche, die sich freiwillig den Richtlinien unterstellt haben, Vorschriften des FIDLEG um den Bereich ESG zu erweitern.  

Entsprechend können die Regelwerke dann als «blueprint» für ein Sustainable Finance/ESG-Rahmenwerk dienen, wenn deren Prinzipien kombiniert werden.  

 

Eine komfortable Lage? 

Vermögensverwalter sind zumindest vordergründig in der komfortablen Lage, dass sie (noch) selbst bestimmen können, wie viel Sustainable Finance/ESG sie sich und ihren Kunden zumuten möchten.  

Insofern europäische Vorschriften nicht zur Anwendung kommen und seitens Kunden keine «ESG-Angebote» gewünscht werden, müssen sich Vermögensverwalter zumindest für den Moment nicht allzu aktiv mit der Thematik befassen. Einzig dann, wenn freiwillig ESG-Präferenzen von Kunden erfasst werden, sind diese im Rahmen der Vermögensverwaltung respektive der Anlageberatung zwingend zu beachten. Ist anderseits eine Umsetzung gewünscht, so können die Prinzipien der bestehenden Selbstregulierungen hierzu als Basis dienen. 

Die, wie bereits erwähnt, auf den ersten Blick komfortable Situation darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwicklungen nicht abgeschlossen sind und ein Nichtstun immer auch die Gefahr birgt, den Anschluss an die Entwicklungen zu verpassen.  

So fragen zwar nicht alle Kunden von Vermögensverwaltern Sustainable Finance/ESG-Dienstleistungen nach, eine erhöhte Sensibilität gegenüber der Thematik ist aber auf jeden Fall spürbar und es ist nicht davon auszugehen, dass zukünftig weniger Sustainable/ESG nachgefragt wird. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Aufbau von Wissen, das Design der entsprechenden Prozesse, die Berichterstattung etc. nicht von heute auf morgen möglich ist und sich ein in dieser Thematik bewandertes Institut durchaus von der Konkurrenz im positiven Sinne abheben kann.  

Weiter ist es absehbar, dass das aufsichtsrechtliche Dispositiv angepasst wird. Die entsprechenden Aufträge sind seitens Bundesrates seit längerem erteilt worden.  

Schliesslich sind in der Vermögensverwaltung neben aufsichtsrechtlichen immer auch die zivilrechtlichen Vorschriften zu beachten und auch diese sind in Bewegung. Bereits jetzt müssen den Vermögensverwaltern die Risiken der den Kunden empfohlenen Produkte bekannt sein und es besteht Ersteren gegenüber in der Regel eine Informationspflicht.  Wird z.B. im Rahmen eines Vermögensverwaltungsmandates in Anteile von Anbietern von nicht erneuerbarer Energie investiert, so ist das Risiko einer zukünftigen Einschränkung dieser Technologie entsprechend zu beachten und dem Kunden mitzuteilen. Sollte sich die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in der Vermögensverwaltung zukünftig als das üblicherweise zu erwartende Mass an Sorgfalt durchsetzen, so könnte deren Nichtbeachtung sodann zu zivilrechtlichen Risiken führen.  

 

Fazit 

Die gegenwärtige Situation erlaubt es Vermögensverwaltern zumindest im Moment, sich im Vergleich zu anderen, streng regulierten Finanzinstituten, etwas passiver zu verhalten. Jede abwartende Haltung kann aber ein Nutzen von Chancen verhindern und birgt das Risiko, den Anschluss zu verpassen. 

Wir sind davon überzeugt, dass eine Anpassung des Finanzmarktrechtes kommen wird.  

Eine aktive Auseinandersetzung mit der Thematik wird somit empfohlen.  

 

 

Biografien

Boris Hofer ist Director im Bereich Regulatory & Compliance Financial Services in Zürich. Er arbeitet seit gut 15 Jahren im Bereich Compliance, sowohl in der Beratung wie auch "inhouse" in Fach- und Führungsfunktionen bei verschiedenen Finanzinstituten und bei einem Energieunternehmen. Zudem verfügt er über mehrjährige Berufserfahrung als Schadenspezialist bei einem Schweizer Versicherer. Boris Hofer ist spezialisiert auf die Beratung im Finanzmarktrecht und die Governance von Finanzinstituten. Sodann führt er in diesen Bereichen regulatorische Prüfungen durch. Weiter übernimmt er im Outsourcing die internen Kontrollfunktionen (Compliance, Risk Management) bei Asset Managern. Boris Hofer verfügt schliesslich über Mandatserfahrung im Bereich Datenschutz und ist in den Themen "Sustainable Finance / ESG" spezialisiert.

Valentine Resta ist Senior Assistant und Rechtsberaterin im Geschäftsbereich Regulatory & Compliance Financial Services bei Grant Thornton Schweiz/Liechtenstein in Zürich. Sie startete 2021 ihre Karriere in der Prüf- und Beratungsbranche im Bereich Financial Services. Sie hat sich auf die Begleitung von Vermögensverwaltern im FINIG-Bewilligungsverfahren und GwG-Audits spezialisiert. Vor- und während ihres Studiums arbeitete Valentine Resta bei einer Schweizer Anwaltskanzlei sowie einer Schweizer Gross- und Privatbank.