Interview VSV

Nach fünfzehn Jahren bei Bankinstituten hat Anne Thiébaud den grossen Schritt gewagt und ihre eigene Vermögensverwaltungsfirma gegründet. Als Asset- Managerin, gelernte Ingenieurin und Privatpilotin teilt sie heute in diesem VSV-Interview ihren reichen Erfahrungsschatz.

 

Anne Thiébaud
Managing Partner, OPAL Investment Services SA

 

Wie sind Sie zur Vermögensverwaltung und zur Gründung Ihrer Firma gekommen?

Ich habe verschiedene Berufe erlernt und ausgeübt. Dadurch bin ich sowohl während der Ausbildung als auch in meiner beruflichen Laufbahn mit verschiedenen Branchen in Berührung gekommen.

Ursprünglich habe ich mich für eine Qualifikation im Ingenieurwesen entschieden, sprich einem ETH-Ingenieurdiplom in Mikrotechnik und einem Minor in Technologiemanagement und Unternehmertum an der EPFL. Anschliessend habe ich mir das Fachwissen im Bereich der Vermögensverwaltung und des Private Banking angeeignet, vor allem durch den Erwerb des eidgenössischen Diploms als Finanz- und Anlageexpertin.

Nach einer rund fünfzehnjährigen Tätigkeit bei Bankinstituten – davon zwölf bei der Bank Pictet & CIE SA – wollte ich mir alle Kenntnisse und Fähigkeiten, die ich in den Bereichen Führung, Management und Finanzen erworben hatte, zu Nutze machen und beschloss, meine eigene Vermögensverwaltungsfirma zu gründen.

Das Inkrafttreten der neuen Finanzmarktgesetze, sowie meine im Private-Banking-Umfeld erworbenen Kenntnisse (Teamführung, Portfoliomanagement, Risikomanagement, Beziehungsmanagement, Wealth Planning usw.) bildeten für mich ein solides „Fundament“ für diese neue und aufregende Tätigkeit. Vielleicht hat mir meine Erfahrung als Privatpilotin auch eine gewisse Risikobereitschaft vermittelt...

Was ich dabei besonders schätze, ist der direkte Kontakt mit der internationalen Kundschaft und die damit verbundene Offenheit gegenüber verschiedenen Kulturen und Nationalitäten.

Und mein Hauptziel, die nachhaltige Maximierung des Gewinns, der durch die enge Beziehung des Vermögensverwalters zum Kunden entsteht, motiviert mich sehr!

 

Sie gehören zu einem noch kleinen Kreis von Vermögensverwalterinnen:  Wie sehen Sie die derzeitige Stellung der Frauen in diesem Beruf?

Meines Erachtens befinden sich die Dinge im Wandel, auch wenn unsere Anzahl auf diesem Sektor noch überschaubar ist.

Es ist bereits erkennbar, dass Frauen – insbesondere im Finanzsektor – zunehmend in leitende Stellungen aufsteigen. Das Bundesamt für Statistik (BFS) stellt in seiner Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung 2021 fest, dass der Anteil der Frauen in Führungspositionen seit Ende der 1990er Jahre insgesamt deutlich gestiegen ist. 

Ich denke, es gibt nun auch ein wachsendes Bewusstsein für den beruflichen Mehrwert von Frauen in der Vermögensverwaltung und, wahrscheinlich akzentuierter, in der Kundenbetreuung.
 

Die Fortschritte bei der paritätischen Besetzung von Stellen mit Frauen und Männern machen mich zuversichtlich, dass eines Tages eine ordentliche Anzahl von Frauen in der Vermögensverwaltung arbeiten wird.

 

Im Mai dieses Jahres haben Sie Ihre FINMA-Lizenz als neue Vermögensverwaltungsgesellschaft erhalten:  Was waren die wichtigsten Etappen auf diesem Weg und welche Punkte sind Ihnen dabei besonders aufgefallen?

Vor allem möchte ich darauf hinweisen, wie wichtig eine sorgfältige Vorbereitung des Gesuchs und eine genaue Befolgung der von den AO erteilten Anweisungen ist. So sind es in der Tat die AO, welche die Vorprüfung übernehmen, bevor das Bewilligungsgesuch an die FINMA weitergeleitet wird.

Meiner Erfahrung nach stellt das Bewilligungsgesuch eine hervorragende Gelegenheit dar, die Prozesse und Instrumente im Bereich der Dokumentation in allen Einzelheiten zu entwickeln, um den nunmehr erweiterten Anforderungen gerecht zu werden. Im Laufe dieser entscheidenden Phase erhält man zudem einen guten Überblick über die neuen gesetzlichen und regulatorischen Grundlagen.

Das Bewilligungssystem ist risikobasiert, weshalb man sich darauf vorbereiten muss, alle Anforderungen bezüglich einer angemessenen Risikobegrenzung und -kontrolle je nach Art des Geschäftsmodell, sowie nach Umfang und Art der Risiken zu erfüllen. 

Die FINMA erwartet ein angemessenes Risikomanagement, die entsprechende Risikokontrolle sowie die Beherrschung der erforderlichen Kompetenzen. Je nach Komplexität des Geschäftsmodells können auch organisatorische Anpassungen nötig werden.

Im Übrigen möchte ich hervorheben, dass ich sehr fruchtbare Gespräche mit der Aufsichtsorganisation OSIF und der FINMA führen konnte.

Die vom VSV zur Verfügung gestellten Dokumente waren ebenfalls sehr hilfreich und ich konnte sie an den Kontext meiner Firma anpassen. Der Austausch mit dem Verband erwies sich als ausgezeichnet und die Schulungen zu den neuen Finanzmarktgesetzen sowie zu Cross-Border-Geschäften und anderen spezifischen Themen haben mir viel gebracht.

Ich ziehe aus dieser wichtigen Phase für mich eine positive Bilanz, weil sie es mir erlaubt hat, mich als neues Unternehmen schnell mit dem gesetzlichen Rahmen vertraut zu machen, um dann angemessen und konstruktiv darauf reagieren zu können.

 

Ihre Firma ist eine kleine Vermögensverwaltung[1]: Wie gewährleisten Sie die Geschäftsfortführung? 

Vermögensverwalter müssen die Kontinuität ihres Geschäftsbetriebs gewährleisten. 

Wenn auf Ebene der Unternehmensleitung nicht mindestens eine weitere Person vorhanden ist, die eine angemessene Stellvertretung übernehmen kann, müssen Massnahmen für den Fall der Verhinderung ergriffen werden, um die ordnungsgemässe Fortführung der Geschäfte sicherzustellen. 

Da ich selbst die alleinige qualifizierte Führungskraft der Gesellschaft bin und normalerweise mindestens zwei qualifizierte Geschäftsführer vorhanden sein sollten, musste ich die notwendigen Vorkehrungen treffen, um unter die Ausnahmeklausel zu fallen. Zu diesem Zweck habe ich einen Vertrag mit einem Dritten geschlossen, d.h. einem Vermögensverwalter, der im Besitz einer Bewilligung im Sinne des FINIG ist. Der Vertrag regelt die gegenseitigen Beziehungen sowie andere Aspekte, welche die Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit betreffen.

Meiner Meinung nach ist es deshalb wichtig, Verträge zwischen Vermögensverwaltern zu schliessen, um den Fortbestand des Berufsstandes, insbesondere der kleinen Strukturen, zu sichern. Ich habe mich daher an einen qualifizierten und vertrauenswürdigen Vermögensverwalter in Genf gewandt, der gegebenenfalls die Geschäftsfortführung vollumfänglich gewährleisten kann.

 

Wie organisieren Sie Compliance und Risikomanagement in Ihrem Unternehmen?

Compliance und Risikomanagement bei Opal Investment Services SA habe ich an Dienstleister delegiert, die, wie es die Vorschriften verlangen, über die erforderlichen Kenntnisse und die nötige Erfahrung verfügen. Aufgaben, die in die Entscheidungsbefugnis der Geschäftsleitung oder des Verwaltungsrats fallen, werden hingegen nicht ausgelagert.

Konkret konnte ich einen Vertrag mit einer in Genf ansässigen Firma abschliessen, die auf die Bereiche Risiko und Compliance bei Bankinstituten spezialisiert ist. Diese Firma unterstützt mich zum Beispiel bei der Umsetzung der Detailkontrolle wie auch bei der Corporate Governance in Sachen Compliance und Risikomanagement.

 

Eine letzte Frage: Was würden Sie Frauen sagen, die zögern in diesen Beruf einzusteigen? Welche Ratschläge können Sie geben?

Wie Sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, müssen sich Frauen wohl öfters durchsetzen und ihre Fähigkeiten und Kenntnisse vielleicht auch stärker unter Beweis stellen. Ich würde ihnen daher raten, für eine solide Berufserfahrung im Bankensektor zu sorgen, damit sie den Anforderungen der Aufsichtsbehörde in vollem Umfang gerecht werden können.

Wie ich bereits zu Beginn kurz erwähnte, ist Risikobereitschaft Teil der Herausforderung, aber man muss auch Talent und Freude an der Kundenbetreuung haben und eine Leidenschaft für die Finanzmärkte mitbringen.

Zum guten Schluss: Sollten wir nicht auf die Digitalisierung setzen, um die Unterschiede zwischen der weiblichen und der männlichen Berufswelt im Endeffekt aufzuheben?

 

 

[1] Die meisten aktiven Mitglieder des VSV haben höchstens zehn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Dem Bundesamt für Statistik zufolge werden sie als Mikrounternehmen eingestuft (Yearbook 2021, ASG).